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Donnerstag, 2. Juli 2009

Vergessen und versteckt: Wrackteile in Sassnitz?

"Wieso soll das Museum für Unterwasserarchäologie keinen Leiter mehr haben? Der Leiter bin ich!" So äußerte sich Dr. Friedrich Lüth, der frühere Direktor des Landesamtes, nach Auslaufen der Verträge von Aufbaudirektor Hanz-Günter Martin. Seit fast fünf Jahren ist der Glasbahnhof trotz Sanierung und seiner konzeptionellen Einzigartigkeit geschlossen. Die neue Brücke würde die Besucher direkt ins Museum schwemen.


Sassnitz. (ostSeh) Dr. Hanz-Günter Martin erinnert sich: "Wenn ich an die Stimmung und die Atmosphäre im Museum des Jahres 2004 denke, so kann ich davon nur ein positives Bild zeichnen. Soweit es Sassnitz und Rügen betrifft. Die Besucherzahlen waren in den drei Jahren davor kontinuierlich gestiegen und wir blieben auch 2004 im Trend. Es waren nicht die Riesenzahlen des U-Boots, aber wir profitierten deutlich. Der Umbau der Gellen-Kogge in eine Art Unterwasserinszenierung war abgeschlossen und fand bei den Besuchern Anklang.


Vor allem aber hatte ich den Eindruck, dass das Museum auf Rügen ‚angekommen’ war. Wir erfuhren vielfältige Unterstützung. Die Sparkasse mit Herrn Ostermoor hatte uns eine größere Geldspende überwiesen, damit wir das Gellenwrack inszenieren konnten. Herr Parlevliet von Eurobaltic hat uns und auch dem Hafenmuseum zu seinem Einzug 10 000 Euro geschenkt. Herr Rohrbeck von der Sassnitzer Hafen Gesellschaft (HBEG) hat großzügig und langmütig erlaubt, dass wir das Obergeschoss der Fischhalle zur Lagerung von Spanten der Poeler Kogge nutzen konnten. Herr Knoth von den Kreidewerken war bereit, uns seinen größten See als Deponie für Schiffwracks zu überlassen. Und Herr Beck von Scandlines wollte einiges in den Museumsbau investieren. Seine Voraussetzung: dass es für das Museum eine Zukunft in Sassnitz gäbe, was damals auch zugesichert wurde. Gelogen, wie wir heute wissen. Dies alles zeigt, wie verankert das Museum nach drei Jahren kontinuierlicher Führung auf der Insel war. Und dies war durchaus ausbaufähig."


Martin hatte 2002 einen Masterplan, erstellt, der in den kommenden Jahren umgesetzt werden sollte. Die Gellenkogge war ja schon realisiert worden, es sollte ein Ralswiek-Boot aufgebaut werden und auf der großen freien Fläche im Untergeschoss die Rekonstruktion der Poeler Kogge stehen. Von ihr ist der gesamte Boden erhalten. Laut Martin war das so angedacht, dass man auf Stegen in, bzw. über der Kogge laufen konnte. Also Schiffe im Untergeschoss und oben die Funde daraus. "Da gab es schon Funde zur Mynden und zur Auguste und weiteren fünf bis sechs Schiffen, die rund um Rügen gefunden worden waren. Dies sind die groben Linien des Ausbaus, der leider nicht weiter als bis zum Anfang der Rekonstruktion des Ralswiek-Bootes gediehen ist."


Das zwischenzeitlich wärmeisolierte Café und der Museumshop hätten für Events herhalten können. Dies hatte sich zuvor schon eingespielt, wenn etwa die Segler des Four Corners Race ihren Empfang im Museum machten oder die Stadt die Architekturwettbewerbsausstellung zum Hafenumbau dort veranstaltete. Aufbruchsstimmung also vor Ort. "Das alles wurde von Schwerin, sprich dem zuständigen Landesamt immer wieder behindert und ausgebremst", so Martin.


Sorgen machen Hanz-Günter Martin die Exponate, besonders die Schiffshölzer, die in Sassnitz liegen. Die Hölzer der Gellenkogge seien damals täglich mit einer PEG-Lösung besprüht worden. Von der Restauratorin sollten in regelmäßigen Abständen Proben gezogen werden um festzustellen, wie weit das PEG in die Spanten und Planken bereits eingedrungen ist. "Ich bezweifle, dass diese Tests in den letzten Jahren durchgeführt wurden. Ob das Wrack weiter besprüht wird, weiß ich nicht. Auch die Hölzer des Ralswiek-Bootes liegen, so weit ich weiß, immer noch in den damals eigens dafür aufgestellten Regalen, wo sie allerdings gelegentlich dem prallen Sonnenlicht ausgesetzt sind. Die Hölzer sind an sich fertig konserviert. Pralles Sonnenlicht und die damit verbundene Hitze schadet ihnen jedoch, weil das Kunstwachs sich dann wieder verflüssigt.


Die Spanten der Poeler Kogge, die wir damals mit einigem Aufwand von Schwerin nach Sassnitz transportierten und in der Fischhalle lagerten, wurden dort ebenfalls mit täglicher Sprüh-Konservierung behandelt.


Gute Chancen für eine gute Zukunft des Museums gibt Martin diesem noch heute, verhehlt jedoch auch seine Wut nicht, dass alle Mitarbeiter der Abteilung Unterwasserarchäologie beim Landesamt damals am ausgestreckten Arm verhungert seien. "Und es gilt für das Museum wie für fast alle Kulturprojekte: Aufbau und Positionierung sind mühsam und langsam, kaputt geht es schnell."


Auch der Unterwasserarchäologe Dr. Thomas Förster sorgt sich sehr um die Exponate. Das gut erhaltene Ralswiekboot sei in Einzelteilen 2000/2001 nach Sassnitz gebracht und dort für alle Besucher sichtbar in einem Regalsystem gelagert. Die Teile waren Minusgraden und direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt, so dass das PEG nach und nach austrat, sich die Teile verformten und sich weitere Trocknungsrisse bildeten. "Ich habe mehrfach im Amt auf diesen Zustand hingewiesen. Der damalige Leiter des Museums, Dr. Hanz-Günter Martin, unterbreitete Friedrich Lüth verschiedene Vorschläge zum Aufbau des Bootes, die sich im Wesentlichen an den Roskilder Booten orientierten. Sie wurden abgelehnt oder gar nicht beachtet!"


Aus Försters Sicht war die PEG-Konservierung nicht falsch. Doch man hätte das Wrack sofort zusammensetzen müssen, nachdem die Planken aus der Heißtränkung kamen. Die Planken waren im Zustand trotz der Bunkerlagerung noch ganz passabel und biegsam wie Pappe. "Hätte man sie nach dem Roskilder Fund sofort in ein Stahlkorsett platziert, dann wäre die Konservierung gut gelungen. Wie der jetzige Zustand der Hölzer ist und wo sie gelagert werden, weiß ich nicht."


Der Dezernatsleiter Archäologie im Landesamt, Dr. Detlef Jantzen äußerte sich auf Nachfrage zu den in Sassnitz eingelagerten Schiffsfunden: "Im Museum für Unterwasserarchäologie befinden sich Teile des Ralswiek-Schiffes, die seinerzeit fachgerecht konserviert worden sind. Sie befinden sich in stabilem Zustand. Das gleiche gilt für das Gellenwrack. Beide werden regelmäßig durch einen Restaurator begutachtet. Ein Verfall ist nicht zu befürchten und die extremen Verhältnisse sind durch die zwischenzeitlich mögliche Temperierung des Gebäudes aufgehoben. Frost und Feuchtigkeit kommen nicht mehr hinein. Durch die eingebaute Dämmung fallen auch die Temperaturspitzen deutlich geringer aus. Ein ‚Ausschmelzen’ des PEGs ist unter diesen Voraussetzungen nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht zu befürchten. Zur Sicherheit findet in regelmäßigen Abständen eine restauratorische Kontrolle statt. Sollten sich Anhaltspunkte für Probleme ergeben, werden wir natürlich Gegenmaßnahmen ergreifen."


Ebenfalls in Sassnitz, aber in einer Halle eingelagert, befänden sich Teile der Poeler Kogge. Diese seien mit PEG getränkt und dadurch inzwischen auch in stabilem Zustand. "Ein Verfall ist auch hier nicht zu befürchten."Vor einiger Zeit sei außerdem mit Bohrungen überprüft worden, ob das PEG auch den Kern der dicken Schiffshölzer erreicht hat. Dabei habe man festgestellt, dass das PEG im Kern angekommen sei, so dass auch keine Zersetzung von innen heraus stattfinden könne. "Ein weiteres Besprühen mit PEG ist deshalb nicht erforderlich."


Beim Stichwort Ralswiekwracks landet man last but not least unweigerlich bei deren Entdecker von 1967, dem Archäologen und Prähistoriker Peter Herfert. Drei Wracks mit ältester erforschter Datierung des Jahres 977 hatte er damals in zehn Zentimeter Tiefe unter Wasserspiegel südlich in Ralswiek gefunden. Weil Archäologen alle Grabungen zusammen mit dem Schulleiter Günter Bovensiepen in Ralswiek aufmerksam begleitet hatten.Herferts Kernthese: "Wie haben nach dem Fund die Wracks von Ralswiek nach reiflicher Überlegung wieder in Sand eingegraben, weil der damalige Kultusminister Klaus Gysi uns zwar Geld für die Bergung und Konservierung besorgt hätte. Geld für die Ausstellung hätten jedoch die Rüganer für das geplante Museum in Ralswiek rund um das Gutshaus auftreiben müssen. "Wir beschlossen, dass die 1000 Jahre alten Wracks auch gut noch länger dort liegen könnten, bis es etwas anders zur Konservierung als Polyäthylenglycol (PEG) gibt. "Die Probleme, die wir 1967 mit den Bootsfunden hatten, waren im Jahr 1992, 26 Jahre später, noch genau die selben. Die Unerfahrenen neuen Kräfte wie der Chef des Landesamtes, Friedrich Lüth jedoch ignorierten das. Ohne gesetzliche Grundlage kamen die ersten Ralswiek-Funde von Stralsund nach Schwerin. Heide Großnick, damalige Landtagsabgeordnete, setzte gegenüber Lüth durch, dass der Pragraph elf des Landesenkmalgesetztes beinhaltete, dass Funde in der Regel in den Fundregionen verbleiben. Dieser Absatz fiel 1998. Herfert unterstellt, dass die Bergung der Boote damals mit weniger Mitteln und Erkenntnissen als 1967 eine reine Profilierungssache war. "Ich hätte es gerne mit Polyurethan im Block gesichert, statt es Planke um Planke unter Zerstörung der Holznägel zu bergen. Mittel und Methoden waren seit 1990 schlechter als zu DDR-Zeiten und daher die Bergung eigentlich sinnlos. "Die Kiele hatten sich dann 1993 bei der Warmkonservierung verdreht und so nahmen die Schäden ihren Lauf. Es bestand nicht die geringste Gefahr, hätte man die Boote weiter im Sand liegen lassen. 1993 war alles noch steinhart", sagt Herfert.


© 2009 ostSeh / ANDREAS KÜSTERMANN


INFO

Ralswiek war das wirtschaftliche Zentrum der Ranen. Begünstigt fast in der Mitte Rügens durch seine Lage an einer sicheren und geschützten Binnenküste. Noch vor einem halben Jahrhundert wusste niemand, welche Schätze dort schlummerten. Erst 1963 wurde bei der Erforschung des Hügelgräberfeldes in den Schwarzen Bergen auf weitere Funde abgehoben.


Mehr als 400 Grabhügel befinden sich auf den Anhöhen und Hängen. Von 1972 bis 1986 wurden mehr als 300 davon ausgegraben. Die zugehörige große Siedlung, die mehr als neun Hektar bebauter Fläche einnahm, befand sich in der heutigen Ortslage auf einem Strandwall, dreiseitig vom Wasser umgeben. Den Grundriss der Siedlung mit Hafenbuchten, Kultstätte und den Fundstellen der vier Bootswracks liegt südlich. Die Blütezeit des Seehandelsplatzes lag im Zeitraum zwischen 750 und 1150 (kurz vor der Christianisierung).

Das komplett frisch renovierte Museum für Unterwasserarchäologie derzeit. Einziges Exponat desLandesamtes für Bodendenkmalpflege, Abteilung Unterwasserarchäologie, sind leere Vitrinen, das hinter einem Vorhang versteckte, zerlegte Ralswiewrack, wo vorher eine Tonbildschau mit Originalteilenwar und leere Vitrinen am Fenster.

Foto: (c) ostSeh


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